«Thomy Senf», sagt Anna-Maria im Februar 2017 am Telefon, hätte sie gerne aus der Schweiz. «Den Blauen.» Alles andere könne sie in England kaufen, aber «Thomy Senf ist einfach der beste, und den gibt es hier nicht». Sie kann jetzt nicht mehr reisen, auch nicht in die Schweiz. Anna-Maria hat Schwierigkeiten mit dem Herz und muss regelmässig zur Kontrolle.
«Die Eltern waren schon nicht gerade begeistert, als sie hörten, dass ich schwanger sei.»
«Augusta» konnte in England niemand aussprechen. Statt «Au» sagten die Engländer und Engländerinnen «O», und das zweite «u» sprachen sie mit «a» aus. Das hörte sich dann an wie «Ogasta». Und wenn Augusta korrigierte, wurde sie gefragt, ob sie denn im August geboren worden sei. «Das hat mich halb wahnsinnig gemacht.»
«In Dover versprach ich den Hafenbehörden, innert 3 Wochen zu heiraten.»
Sie begann, die Bibel zu lesen und Bücher über die Bibel, so viele, bis das ganze Haus mit Büchern vollgestopft war.
«Dass wir Ausländerinnen waren, machte uns damals interessant. Wir waren nicht irgendwelche girls, wir waren etwas Besonderes.»
»Als ich nach London kam, war ich ein richtiges Schaf. Brav, und von nichts hatte ich eine Ahnung. Aber in England habe ich den Knopf aufgemacht!»
Helene träumt noch immer von jenen ersten, strengen Jahren, als sie das eigene Restaurant in Colindale hatten. Fish and Chips und Steak mit Pommes Frites sowie zypriotische Gerichte standen auf dem Menüplan. Wenn Kunden mit Spezialwünschen kamen, dann wurden diese nach Möglichkeit auch erfüllt. Dann machte Helene zum Beispiel Schweizer Fondue. Mit einer Fertigmischung aus der Schweiz und frischem Knoblauch vom türkischen Händler vis-à-vis.
Rose, so nennt man sie hier in England seit 59 Jahren. Auf dem Pfannenstiel war sie Rosa oder das Rösly gewesen.
«Die Falten legen ist ja nicht schwierig. Aber es braucht sieben Meter Stoff für einen Kilt!»
«Alljährlich im Frühjahr schwärmen unsere jungen Mädchen nach England.»
Die vergessenen Schweizerinnen
Portraits von Schweizerinnen, welche in jungen Jahren nach England gereist und dort geblieben sind. Alles ältere Ladies. In einer Generation, die den Ausbruch für Frauen nicht vorsah, haben unsere Protagonistinnen sich in einer Grossstadt ein neues Leben aufgebaut. Sie heissen Emma, Bertha oder Marie und kamen aus Wilderswil, Urnäsch oder Bellinzona. Sie arbeiteten als Hausangestellte, Kindermädchen oder Gesellschafterinnen in Liverpool oder London und auf Landgütern von Adligen. Sie gingen, obwohl die Medien warnten: vor dem britischen Wetter, vor dem englischen Klassendünkel, vor unerwünschten Schwangerschaften.
Ein Massenexodus von Frauen, wie er in der Schweizergeschichte wohl kein zweites Mal vorkam. Und wenn sie in England geblieben sind, dann fast immer deshalb, weil genau das passierte, wovor sie so eindringlich gewarnt worden sind: sie verliebten sich, wurden schwanger, haben geheiratet. Diese Abenteurerinnen habe ich in England besucht, begleitet, Zeit mit ihnen verbracht, zugehört und dabei Bilder gemacht.
Während vier Jahren besuchte ich mit der Autorin Simone Müller Frauen aus der Schweiz in London. In einer Generation, die den Ausbruch für Frauen nicht vorsah, haben unsere Protagonistinnen sich in einer Grossstadt ein neues Leben aufgebaut.
Sie heissen Emma, Bertha oder Marie und kamen aus Wilderswil, Urnäsch oder Bellinzona. Sie arbeiteten als Hausangestellte, Kindermädchen oder Gesellschafterinnen in Liverpool oder London und auf Landgütern von Adligen.
Sie gingen, obwohl die Medien warnten: vor dem britischen Wetter, vor dem englischen Klassendünkel, vor unerwünschten Schwangerschaften. Ein Massenexodus von Frauen, wie er in der Schweizergeschichte wohl kein zweites Mal vorkam. Und wenn sie in England geblieben sind, dann fast immer deshalb, weil genau das passierte, wovor sie so eindringlich gewarnt worden sind: sie verliebten sich, wurden schwanger, haben geheiratet.
Diese Abenteurerinnen habe ich in England besucht, begleitet, Zeit mit ihnen verbracht, zugehört und dabei Bilder gemacht.